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Cerebrolysin bei traumatischer Hirnverletzung (TBI): Eine systematische Übersicht und Meta-Analyse

Ein Blick auf die aktuelle Studienlage zu Cerebrolysin in der Behandlung von TBI

Einleitung

Eine traumatische Hirnverletzung (TBI) ist eine der häufigsten Ursachen für bleibende neurologische Schäden und langfristige Behinderungen. Jährlich erleiden weltweit Millionen Menschen eine TBI, die von leichten Gehirnerschütterungen bis hin zu schweren Schädel-Hirn-Traumata reicht. Die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt, und viele Patienten haben mit langfristigen kognitiven und motorischen Defiziten zu kämpfen.

Cerebrolysin, ein aus Schweinehirnprotein gewonnenes Neuropeptidpräparat, wird seit Jahren als potenzielle neuroprotektive und neurorestaurative Therapie für verschiedene neurologische Erkrankungen diskutiert. In einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse, veröffentlicht in Brain Sciences (Jarosz et al., 2023), wurde die Wirksamkeit von Cerebrolysin bei TBI untersucht. Die Ergebnisse sind vielversprechend, werfen aber auch neue Fragen zur optimalen Anwendung auf.


Was ist Cerebrolysin?

Cerebrolysin ist ein niedermolekulares Peptidpräparat, das aus gereinigten Schweinehirnproteinen hergestellt wird. Es enthält biologisch aktive Peptide, die nachweislich neuroprotektive und neurorestaurative Eigenschaften haben. Frühere präklinische und klinische Studien deuten darauf hin, dass Cerebrolysin:

  • Entzündungsreaktionen im Gehirn modulieren kann,
  • die Regeneration von Nervenzellen unterstützt,
  • die synaptische Plastizität fördert und
  • die kognitiven Fähigkeiten nach neurologischen Schäden verbessert.

Diese Eigenschaften haben das Interesse an Cerebrolysin als potenzielle Behandlung für Patienten mit TBI geweckt.


Studienübersicht: Methodik der Meta-Analyse

Die systematische Übersichtsarbeit von Jarosz et al. (2023) analysierte 10 klinische Studien mit insgesamt 8749 Patienten, die Cerebrolysin nach einer TBI erhielten. Die Studien wurden aus PubMed, Cinahl, Web of Science und Embase extrahiert und nach strengen wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt.

Einschlusskriterien für die Analyse:

✅ Erwachsene Patienten (>18 Jahre)
✅ Diagnose einer leichten, mittelschweren oder schweren TBI
✅ Behandlung mit Cerebrolysin in einem klinischen Setting

Untersuchte Parameter:

🔹 Glasgow Outcome Scale (GOS) → Beurteilung der funktionellen Erholung
🔹 Glasgow Coma Scale (GCS) → Messung des Bewusstseinszustandes
🔹 Mortalität (Sterblichkeit)
🔹 Dauer des Krankenhausaufenthalts (LOS – Length of Stay)

Die Studien verwendeten unterschiedliche Dosierungen von Cerebrolysin (10–50 ml pro Tag) über einen Zeitraum von 5 bis 30 Tagen.


Ergebnisse der Meta-Analyse

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Analyse sind:

Verbesserung der neurologischen Funktionen: Patienten, die Cerebrolysin erhielten, zeigten eine signifikante Verbesserung des GCS und GOS im Vergleich zur Kontrollgruppe (p < 0,05). Dies deutet darauf hin, dass Cerebrolysin die funktionelle Erholung nach einer TBI positiv beeinflussen kann.

Keine signifikante Reduktion der Mortalität: Die Behandlung mit Cerebrolysin hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Sterblichkeitsrate (p = 0,111).

Keine Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer: Die Patienten, die Cerebrolysin erhielten, mussten nicht kürzer im Krankenhaus bleiben als die Kontrollgruppe (p = 0,634).

Interpretation der Ergebnisse

Die Verbesserung von GOS und GCS zeigt, dass Cerebrolysin die neurologische Genesung nach einer TBI unterstützen kann. Die fehlende Wirkung auf Mortalität und Krankenhausaufenthaltsdauer bedeutet jedoch, dass die Therapie nicht als akute lebensrettende Maßnahme betrachtet werden kann.


Wie wirkt Cerebrolysin? – Mechanismen der Neuroprotektion

Cerebrolysin entfaltet seine Wirkung durch mehrere Mechanismen:

🧠 Neuroprotektion: Reduktion von Entzündungen, Hemmung freier Radikale und Schutz der Neuronen vor oxidativem Stress.
🧬 Neuroplastizität: Förderung der Synapsenbildung und Erhalt der neuronalen Kommunikation.
🔬 Regeneration: Aktivierung von Signalwegen wie dem Sonic Hedgehog (Shh)-Pfad, die das Wachstum neuer Nervenzellen anregen.
Beeinflussung von Neurotransmittern: Modulation des GABA- und cholinergen Systems, was zu verbesserten kognitiven Funktionen führen kann.

Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass Cerebrolysin auch noch Monate nach der ursprünglichen Verletzung positive Effekte zeigen kann. Dies könnte es zu einer wertvollen Ergänzung in der Langzeitrehabilitation von TBI-Patienten machen.


Kritische Betrachtung und offene Fragen

Trotz der positiven Ergebnisse gibt es einige offene Fragen:

🔹 Optimale Dosierung und Behandlungsdauer: In den analysierten Studien wurden Dosierungen zwischen 10 und 50 ml pro Tag angewendet. Es gibt jedoch keinen Konsens darüber, welche Dosis am wirksamsten ist.

🔹 Zeitpunkt der Behandlung: Einige Studien begannen die Behandlung innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung, andere erst nach mehreren Monaten. Frühere Forschungen deuten darauf hin, dass eine frühzeitige Gabe effektiver sein könnte.

🔹 Langfristige Auswirkungen: Es gibt noch nicht genügend Daten darüber, wie lange die positiven Effekte von Cerebrolysin anhalten und ob wiederholte Behandlungszyklen notwendig sind.

🔹 Nebenwirkungen: Während die meisten Patienten Cerebrolysin gut vertragen, besteht ein geringes Risiko für allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock.


Fazit und zukünftige Forschung

Die systematische Übersichtsarbeit von Jarosz et al. (2023) zeigt, dass Cerebrolysin vielversprechende neuroprotektive Eigenschaften bei TBI hat. Insbesondere die Verbesserung von GCS und GOS deutet darauf hin, dass Cerebrolysin die funktionelle Erholung fördern kann.

Allerdings bleibt unklar, welche Patienten am meisten von der Therapie profitieren und welche Dosierung optimal ist. Zukünftige randomisierte, multizentrische Studien sind notwendig, um diese Fragen zu klären und Cerebrolysin möglicherweise als Standardbehandlung für TBI zu etablieren.


Quellen:

Jarosz, K., Kojder, K., Andrzejewska, A., Solek-Pastuszka, J., & Jurczak, A. (2023). Cerebrolysin in Patients with TBI: Systematic Review and Meta-Analysis. Brain Sci. 2023, 13, 507. DOI: 10.3390/brainsci13030507


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