Warum ein gründliches EEG unerlässlich ist
Neurofeedback hat sich in den letzten Jahren als eine vielversprechende Methode zur Verbesserung der Gehirnfunktion etabliert. Es basiert auf der Idee, dass das Gehirn durch gezielte Rückmeldung (Feedback) lernen kann, seine Aktivität selbst zu regulieren. Doch bevor ein Neurofeedback-Training beginnen kann, ist ein detailliertes Verständnis der individuellen Gehirnaktivität des Patienten notwendig – und hier kommt das quantitative EEG (QEEG) ins Spiel. Ohne diese Grundlage trainiert man quasi blind.
Was ist ein QEEG?
Ein QEEG, oder quantitatives EEG, ist eine spezielle Form des EEGs (Elektroenzephalogramm), bei dem die Gehirnaktivität digital erfasst und analysiert wird. Während ein Neurologe ein klassisches EEG verwendet, um grobe Abweichungen in der Hirnaktivität zu erkennen, wie z.B. epileptische Anfälle oder andere neurologische Erkrankungen, geht das QEEG einen Schritt weiter. Hier werden die gemessenen EEG-Daten mit Normwertdatenbanken verglichen, um subtile Abweichungen in der Gehirnaktivität zu identifizieren.
Das klassische EEG, das in der Neurologie verwendet wird, misst und zeichnet elektrische Aktivität auf, um akute oder chronische neurologische Störungen zu erkennen. Der Neurologe sucht nach Anomalien, die auf Erkrankungen wie Epilepsie oder Schlafstörungen hinweisen könnten. Das QEEG hingegen analysiert die Daten tiefer und nutzt moderne statistische Methoden, um eine umfassende Karte der Gehirnaktivität zu erstellen. Es macht subtile Muster sichtbar, die im Rahmen eines Neurofeedback-Trainings genutzt werden können, um gezielt Verbesserungen zu erzielen.
Wie entstehen Normwertdatenbanken für das QEEG?
Normwertdatenbanken basieren auf den EEG-Daten gesunder Probanden. Um solche Datenbanken zu erstellen, wurden EEGs von großen Gruppen von Menschen in verschiedenen Altersgruppen und Lebensphasen gesammelt. Diese Daten bilden eine statistische Grundlage, mit der die Hirnaktivität eines Patienten verglichen wird. Die Normwertdatenbanken sind so aufgebaut, dass sie ein Bild der „normalen“ Gehirnaktivität für verschiedene Altersgruppen, Geschlechter und andere demografische Faktoren bieten.
Abweichungen in den Frequenzbändern und die Z-Score-Analyse
Im QEEG werden verschiedene Frequenzbänder wie Alpha, Theta, Beta und Delta analysiert. Jeder dieser Bänder repräsentiert unterschiedliche Zustände des Gehirns: von Entspannung (Alpha) bis hin zu fokussiertem Denken (Beta). Durch den Vergleich mit Normwerten werden Abweichungen in diesen Frequenzen sichtbar gemacht. Diese Abweichungen werden oft durch Z-Scores dargestellt.
Der Z-Score gibt an, wie viele Standardabweichungen eine Messung vom Durchschnitt der Normwertgruppe abweicht. Ein Z-Score von 0 bedeutet, dass die gemessene Hirnaktivität genau im Durchschnitt liegt, während ein Z-Score von +1 oder -1 eine Abweichung von einer Standardabweichung bedeutet. Abweichungen bis zu ±2 Z-Scores gelten in der Regel als noch innerhalb des Normalbereichs. Erst Abweichungen über ±3 Z-Scores sind signifikanter und deuten darauf hin, dass die Hirnaktivität deutlich von der Norm abweicht.
Gausverteilung und Z-Scores: Wie viele liegen außerhalb von 3Z?
Die Verteilung der Hirnaktivität in einer Population folgt einer Gaußschen Normalverteilungskurve. In einer perfekten Normalverteilung befinden sich etwa 68 % der Werte innerhalb von ±1 Z-Score vom Mittelwert, etwa 95 % innerhalb von ±2 Z-Scores und etwa 99,7 % innerhalb von ±3 Z-Scores. Das bedeutet, dass in einer Stichprobe von 1.000 Personen nur etwa drei Menschen einen Z-Score außerhalb dieses Bereichs hätten. Diese Menschen hätten demnach eine signifikante Abweichung von der Norm sind aber Teil der 1.000 ausgewählten gesunden Personen auf deren Grundlage die Datenbank erstellt wurde.
Zusammenfassend Werte außerhalb von ±3 Z sind sehr auffällig, können aber durchaus bei normalen als gesund eingestuften Menschen auftreten.
Ist ein abweichender Z-Score immer problematisch?
Ein erfahrener Neurofeedback-Trainer hat einmal gesagt, dass ein abweichender Z-Score nicht unbedingt auf ein Problem hinweisen muss. Es könnte auch bedeuten, dass der Patient mit der falschen Normwertgruppe verglichen wurde. Beispielsweise haben Spitzensportler, Künstler oder Scharfschützen oft Gehirnaktivitäten, die sich von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden. Diese speziellen Fähigkeiten erfordern oft ein ungewöhnliches Gehirnprofil, das außerhalb der „Norm“ liegt – und das ist genau das, was sie in ihrem Bereich besonders macht.
Anamnese und Zieldefinition: Der Schlüssel zum erfolgreichen Neurofeedback
Vor der Auswertung des EEGs sollte stets eine gründliche Anamnese durchgeführt werden. Hierbei geht es darum, die Ziele und Wünsche des Patienten zu verstehen und festzulegen, was mit dem Neurofeedback erreicht werden soll. Gibt es spezifische Beschwerden wie Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen oder Stresssymptome? Oder soll die kognitive Leistung in einem speziellen Bereich verbessert werden? Diese Informationen sind entscheidend, um das Neurofeedback-Training auf den Patienten zuzuschneiden.
Der Weg zum gezielten Neurofeedback-Training
Ergeben sich Schnittpunkte zwischen den Zielen des Patienten und den Ergebnissen des QEEG, kann ein individuelles Neurofeedback-Training erstellt werden. Die ermittelten Abweichungen in den Frequenzbändern bieten eine klare Richtung, wie das Training gestaltet werden soll. So kann das Gehirn gezielt in den Bereichen trainiert werden, die zur Verbesserung der Symptome oder zur Erreichung der Ziele notwendig sind.
Fazit: Kein Neurofeedback ohne QEEG
Ohne ein QEEG ist Neurofeedback ein Schuss ins Blaue. Das QEEG gibt Aufschluss darüber, wie die Hirnaktivität im Vergleich zur Norm abweicht und wo das Training ansetzen sollte. Ohne diese Informationen läuft man Gefahr, unwirksam zu trainieren oder sogar negative Effekte zu verstärken. Nur durch eine gründliche Analyse der Gehirnaktivität können die gewünschten Ergebnisse im Neurofeedback erzielt werden – und deshalb sollte Neurofeedback nie ohne ein vorheriges QEEG durchgeführt werden.
Michael Schiffer, Baden-Baden 26-Aug-2024